Montag, 03.04.2017

Eltern haften für ihre Kinder? – Über das neueste Urteil des BGH zum Filesharing

Dass der Satz „Eltern haften für ihre Kinder!“ in der Regel so pauschal nicht zutrifft, ist bekannt. Einen anderen Eindruck könnte man teilweise gewinnen, wenn man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum Filesharing betrachtet. Zur Frage der Haftung des Anschlussinhabers für von Dritten begangenen Urheberrechtsverletzungen durch die Teilnahme an Musik-Tauschbörsen, hat der BGH in der Vergangenheit eine Vielzahl von Einzelentscheidungen getroffen, die in Praxis und Literatur nicht immer auf Verständnis gestoßen sind. Dass die Haftung des Anschlussinhabers und die dogmatische Herleitung durch die Rechtsprechung teils sehr kritisch gesehen wird, liegt unter anderem daran, dass in der Vergangenheit sogenannter Abnahmeanwälte auf teils fragwürdige Art und Weise versucht haben, aus derartigen Verstößen Profit zu machen. Auch die hohen Schäden, die teilweise durch die Rechtsprechung zu Gunsten der klagenden Tonträgerhersteller angenommen wurden, stießen in der öffentlichen Diskussion oft auf Unverständnis.
Hierbei darf allerdings nicht vergessen werden, dass auch der illegale Upload von urheberrechtlich geschütztem Material, wie er bei der Benutzung von Tauschbösen stattfindet, trotz der Niederschwelligkeit dieser rechtswidrigen Handlung und trotz des Umstandes, dass sich derartige Tauschbörsen zeitweise großer Beliebtheit erfreuten und einen Unrechtsbewusstsein bei den meisten Nutzer nicht vorhanden war, eine Urheberrechtsverletzung darstellt. Die Tatsache, dass dies vielen Nutzern (vermeintlich) nicht bekannt war, schützt vor der zivilrechtlichen Inanspruchnahme nicht.
Bereits im Jahr 2012 hat der Bundesgerichtshof zu Gunsten des Anschlussinhabers in der so genannten „Bear-Share“- Entscheidung entschieden, dass der Inhaber eines Netzanschlusses dann nicht als Täter haftet, wenn das Filesharing durch einen volljährigen Familienangehörigen ohne sein Wissen durchgeführt wurde. Sodann wurde in einer weiteren Entscheidung klargestellt, dass auch für die ohne Wissen des Anschlussinhabers durchgeführte Urheberrechtsverletzung eines minderjährigen Familienmitgliedes eine Haftung nicht eingreift. All diese Entscheidungen bezogen sich insoweit auf Konstellationen, in denen der zur Nutzung überlassene Anschluss missbraucht wurde. Es wurde durch die Rechtsprechung zudem festgestellt, dass im Rahmen der sog. Störerhaftung durch den Anschlussinhaber jedenfalls dann konkrete Gegenmaßnahmen getroffen werden müssen, wenn konkrete Anhaltspunkte für den Missbrauch des Anschlusses durch Angehörige etc. bestehen.
Der BGH hat insoweit festgestellt, dass eine Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers dann nicht bestehen kann, wenn zum Zeitung der Rechtsverletzung auch andere Dritte den Anschluss mitbenutzen konnten und der in Anspruch genommene Anschlussinhaber dies nachvollziehbar darlegt. Zwar ist grundsätzlich der Anspruchssteller darlegungs- und beweisbelastet dafür, dass der in Anspruch genommene tatsächlich Täter ist, die Anschlussinhaber trifft allerdings nachträglich eine so genannte sekundäre Darlegungslast, d.h. er muss entlastende Tatsachen selbst und ausführlich sowie nachvollziehbar vortragen. Dies schließt auch ein, dass durch den Anschlussinhaber zumutbare Nachforschungen angestellt werden müssen. Bislang wurde insoweit angenommen, dass es ausreicht, wenn der Anschlussinhaber nachvollziehbar vorträgt und belegt, welche weiteren Personen Zugang zu seinem Anschluss gehabt haben, wenn es mehrere Personen waren, mussten diese konkret mit Namen und Anschrift benannt werden. Insbesondere wurde durch die Rechtsprechung auch festgestellt, dass der Anschlussinhaber nicht ohne konkrete Anhaltspunkte davon ausgehen muss, dass sein Netzwerk missbraucht wird und daher keine Pflicht zur nicht anlassbezogenen Aufklärung über die Rechtswidrigkeit solcher Tauschbörsen gegenüber Angehörigen bestand.
In der am 30. 3. 2017 getroffenen „Loud – Entscheidung“ des Bundesgerichtshofs lag der Fall anders: Der Vater und Anschlussinhaber, welcher in Anspruch genommen wurde, hatte im Prozess vorgetragen, er wisse, welches seiner 3 Kinder die Tauschbörse benutzt habe. Er weigerte sich allerdings, die Identität des Kindes preiszugeben. Der BGH hat nunmehr entschieden, dass in diesem Falle der in Anspruch genommene trotz des Vortrages, dass weitere Personen Zugriff auf seinen Anschluss hatten als Täter haftet. Der Bundesgerichtshof hat insoweit an seiner Auffassung festgehalten, dass es eine tatsächliche Vermutung für die Täterschaft des Anschlussinhabers gebe, die nur durch einen qualifizierten Gegenvortrag im Rahmen der sekundären Beweislast widerlegt werden könne. Hierzu gehört nach Auffassung des Bundesgerichtshofes offensichtlich in dem konkret entschiedenen Fall auch die Preisgabe der Identität des tatsächlichen Täters, die den Anschlussinhaber nach eigenen Angaben bekannt war.
Diese Auffassung trifft auf vielfältige, auch dogmatische Bedenken. In der so genannten „Afterlife-Entscheidung“ des Bundesgerichtshofes aus dem Oktober 2016 hatte der Bundesgerichtshof noch darauf abgestellt, dass der verfassungsrechtlich abgesicherten Schutz von Ehe und Familie gemäß Art. 6 GG die – ebenfalls verfassungsrechtlich gesicherten - Eigentumsrechte der Tonträgerhersteller insoweit überwiegen, dass es einem Anschlussinhaber unter der Prämisse der Störungshaftung nicht zumutbar ist, das Nutzungsverhalten seines Ehepartners zu kontrollieren. In dem nunmehr entschiedenen Fall hat der Bundesgerichtshof die Eigentumsrechte des Tonträgerherstellers als gewichtiger angesehen, wenn bekannt ist, dass dem Anschlussinhaber der wahre Täter bekannt ist. Dies führt letztlich dazu, dass der in Anspruch genommene Anschlussinhaber, der vielfach ein Elternteil des wahren Täters ist, nur die Möglichkeit hat entweder selber als Täter zu haften oder die Identität des wahren Täters, nämlich seines Kindes bekanntzugeben und somit dazu beizutragen, dass nunmehr das Kind selbst zivilrechtlich in Anspruch genommen wird. Viele Eltern werden sich schwer damit tun, ihr Kind einer solchen Situation auszusetzen und gleichsam „ans Messer zu liefern“.
Auch im Rahmen der insoweit bestehenden Nachforschungspflichten ergibt sich die unbefriedigende Situation, dass Eltern, die ihre Kinder danach befragen, wer den Verstoß begangen hat, damit rechnen müssen, dass sie den Täter tatsächlich finden und ihn sodann konkret im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast benennen müssen. Die Alternative, den tatsächlich gefundenen Täter nicht zu benennen und wahrheitswidrig zu behaupten, der Täter sei nicht bekannt, ist jedenfalls mit der prozessualen Wahrheitspflicht als Partei im Zivilprozess nicht zu vereinbaren.
Aus diesem Grunde sind zur Vermeidung derartige Haftungsszenarien nach wie vor wichtig, alle Personen, die einen Anschluss benutzen auf die Haftungsrisiken hinzuweisen und dazu aufzufordern, derartige urheberrechtswidrige Handlungen zu unterlassen.